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ASIEN UND DER PAZIFIK AM FREITAG

 
Es gab Zeiten, in denen man Bücher über Trachten, Sitten und Bräuche derart aufwendig gestaltet hat, als würden sie auf einem rauschenden Fest der Ästhetik präsentiert werden. Das vierbändige Werk Moeurs, usages et costumes de tous les peuples du monde ... von Auguste Wahlen gehört zu diesen Büchern. William Foyle, einer der "führenden Buchhändler des 20.Jahrhunderts in London", ließ sich verzaubern von den Farben und Materialien der in Brüssel erschienenen Ausgabe und klebte - vermutlich in seiner Privatbibliothek in Beeleigh Abbey - ein elegantes, weinrotes Ex-Libris-Schildchen mit goldener Schrift animo et fide auf das marmorierte Vorsatzpapier aller vier erworbenen Bände. Diese gehörten hiermit fortan in eine der berühmtesten und wertvollsten Privatbibliotheken, die im Jahre 2000 bei Christie's unter Beobachtung von Buchkennern und Sammlern aus aller Welt versteigert wurde. Heute bietet der Tresor am Römer genau diese Exemplare der ersten Ausgabe in prächtiger Ausstattung an. Der Autor, Auguste Wahlen, hat seine Texte und Zahlen nach authentischen Dokumenten und jüngsten Reiseberichten zusammengestellt, so dass in den Jahren 1843-44 Trachten und Gebräuche der Völker aus Asien, Ozeanien, Afrika-Amerika und Europa die Augen der Leser entzücken und den Verstand ebendieser erhellen konnten.

Dieses Werk wurde splendid mit 4 kolorierten Titelvignetten und 211 Holzstichtafeln versehen, und zwar von Hand mit leuchtenden Farben und mit äußerster Sorgfalt koloriert. Damit die Leser einen Eindruck von den Illustrationen bekommen, haben wir ein reizvoll befedertes Mädchen der Insel Madison, eine rauchende Dame der Insel Guham sowie den furchteinflößenden und tätowierten Krieger von Noukahiwa gebeten, für den Text zu posieren. Allerdings müssen wir eingestehen, dass die Farbkraft der Originale nicht adäquat wiedergegeben werden konnte. Der imposante Herr von Noukahiwa, der sich heute extra mit einem Kopfschmuck aus Walfischenzähnen bedeckt hat, demonstriert uns hier frank und frei seine Wurfnuss, die er mit Genauigkeit und erstaunlicher Flugweite einzusetzen versteht. Eigenheiten und Geheimnisse der beiden Ozeanierinnen möchte der Eingeborene an dieser Stelle allerdings nicht verraten, denn diese mögen vorerst zwischen den vergoldeten, mit Steh- als auch Innenkantenvergoldung verzierten und mit Leder überzogenen Buchdeckeln für den zukünftigen Besitzer verwahrt bleiben. Er lächelt, spielt an seiner Muschelkette und schaukelt mit seinem Wurfgeschoss. Wie könnten wir seinem Wunsch nicht entsprechen? 

Einen Blick auf die anderen angebotenen, mitunter sehr interessanten Bücher begrüßt er und verweist mit Nachdruck auf die Notizen aus Frankfurt, in denen es merkwürdige Dinge zu lesen gebe. Nun jedoch möchte er sich mit der Frau von Guham zurückziehen, um ein Pfeifchen zu rauchen und einen Kawa zu trinken - ein rein pflanzliches Getränk, das angenehm berauschend wirken kann.

NOTIZEN AUS FRANKFURT


Känguruleder &
Squashy Foldable Hats "Und was sind squashy foldable hats?", fragen wir den Besitzer des Australien Shops, als er uns sein Sortiment vorstellt. Kaum haben wir die Frage gestellt, hat Herr Horn auch schon den Lederhut klein geknautscht und in einen Stoffbeutel gehüllt. Diese Falttechnik sei nicht nur für das Reisen, sondern auch für das alltägliche und nicht nur das australische Leben geeignet. Den Knautschhut gibt es in Känguru- und Rindsleder. Ersteres ist etwas dünner als zweiteres, weich und strapazierfähig und eignet sich deswegen auch gut für die Boots von R.M.Williams, die Ernst-Albrecht Horn zusammen mit seiner Frau Frauke seit Ende 2004 in der Berliner Straße 33 - nur ein Kängurusprung von hier - anbietet. Sodenn gibt es australisches Bier, Wein, Didgeridoos, Wachsmäntel, Gürtel, Süßigkeiten und andere Lebensmittel. Und was könnte in dem Gefrierschrank, der auf dem unteren Foto zu sehen ist, liegen? "Kängurusteak!" Es habe wenig Fett und sei geschmacklich zwischen Wild- und Rindsfleisch einzuordnen. Krokodilsfleisch sei momentan nicht im Angebot. In diesen gesundheitlich unsicheren Zeiten möchten wir noch auf den berühmt-berüchtigten Brotaufstrich Vegemite hinweisen. Australier schwärmen mitunter für ihn und wollen auch im Ausland nicht auf ihren Aufstrich, proudly made in Australia since 1923, verzichten. Er enthält besonders viel Vitamin B for Vitality und der Geschmack ist ... australisch.

DER EINGEBUNDENE FREITAG


Erlesene Einbände verführen zum Anfassen, Streicheln, auch zum Horchen und zum Liebäugeln. Die Hand des einen Kunden streicht zart über die glatte Kalbslederoberfläche der Sonette an Orpheus von Rainer Maria Rilke, die des anderen erkundet tastend die unregelmäßige Oberflächenstruktur des Maroquinleders der Florentiner Ausgabe von Das Nordlicht des Autors Theodor Däubler. Schließen werden auf- und zugemacht. Klick, klack. Die Fingerspitzen des Zeige- und Mittelfingers fahren über die ziselierten Eckbeschläge, die Prägungen, den Perlmuttbesatz und den roten Zierstein aus Glas. Gleich beide Daumen gehen eine Streichelbeziehung mit dem ovalen Relief aus Schildpatt ein und, um den köstlichen Schimmer der Muster des gepunzten Goldschnittes zu genießen, wird das Andachtsbuch im Licht hin- und herbewegt.


Wohlig warme Töne wandern wiederholt durch den Tresor am Römer. Wie zur Prüfung lässt der Sammler den ersten der drei jeweils 700 Seiten starken Bände sanft auf die anderen beiden fallen. Er, der Sammelnde, lächelt. Der Wohlklang entsteht durch die von Hübel und Denck in samtiges Maroquinleder eingebundenen Werke des Miguel de Cervantes. Der Sachsenspiegel in 460 Jahre altem Schweinsleder auf Holzdeckeln klingt eben anders.

Kreisrunde, nachtblaue Intarsien, begleitet von ockerfarbigen millimeterkleinen Rauten passgenau eingebettet in ein dunkles Indigo umschmeicheln das Auge. Nicht nur die technische Präzision, mit der der Meistereinband des Franzosen Louis Gilbert gefertigt ist, überzeugt die Sinne, sondern auch die ästhetische Sicherheit und der gestalterische Mut führen den Leser glücklich über zwei Vorsatzpaare aus kobaltblauem Seidenmoiré, königlich edel, und aus handgeschöpftem Marmorpapier, poetisch verführend, hinein in die Rôtisserie de la Reine Pédauque von Anatole France.


Und was könnte diese reich bordürte, querformatige Kassette bergen? Unter Glas ein Kupferstich mit einer Landschaft, beruhigt durch Baumesgrün, belebt durch einen Fluss, in der drei Damen in griechischen Gewändern, als wären sie die drei Grazien, ein Blumengebinde gemeinsam betrachten. Glanzpapier in hellem Kadmiumrot ist gesäumt von goldenen Bordüren und leuchtet kräftig, anstatt einen Titel preiszugeben. Letztendlich verraten uns  die zahlreichen Indizien, dass es sich um ein Album Amicorum mit Freundschaftsblättern handelt, darunter auch 14 gestochene und kolorierte Freundschaftsgaben. Weitere Liebhaberobjekte präsentieren sich in der folgenden Angebotsliste, und in den anschließenden Notizen aus Frankfurt widmen wir uns einer schmückenden Bedeckung für das menschliche Haupt.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Mit Buch und Hut in den Herbst So wie der Einband das Buch schützt und schmückt, so tut es der Hut auf dem Kopf des Menschen. Glücklicherweise gibt es unweit des Tresor am Römer den Hutsalon Coy, der sich seit der Rekonstruktion der neuen Altstadt am Markt 38 befindet. Dort werden vor allem selbstmodellierte Hüte angeboten, die auch von der Ladeninhaberin und Modistin Cornelia Plotzki hergestellt werden. Für das Foto zeigt uns die frohgemute Hutverkäuferin Valentina zwei rote Filzstumpen, die später über ein handgeschnitztes Holzmodell gelegt und dann von Hand und mit Hilfe von Wasserdampf geformt werden. Sollte der Kundin die Form des Glockenhutes zusagen, nicht jedoch die tannengrüne Filzfarbe, so fertigt die Modistin die Cloche auch in einem strahlenden Ahornblätterrot. Und sollte die Form des kecken Glockenhutes nicht gefallen, mögen sodenn der lässige Schlapphut, der jugendlich wirkende Aufschlaghut oder die krempenlose Wollfilzkappe als Kopfbedeckung dienen. Von dem Hutformenreichtum begeistert, können wir schließlich feststellen, dass es für jeden Kopf einen passenden Hut wie auch ein passendes Buch gibt.    

DER MEHRBÄNDIGE FREITAG


Jede Gesamtausgabe muss zahlreiche Fragen beantworten können: Bist Du eine kritische Werkausgabe? [wie die hier angebotenen Sämmtliche Schriften von G.E.Lessing, 1853-57], Oder bist Du eine neue vermehrte Ausgabe? [wie Sämmtliche Schriften von F.W.Gleim aus dem Jahre 1770], Bist Du auch die einzig rechtmäßige Original-Ausgabe? [wie die Werke von Johann Winkelmann, 1847], Du bist doch wohl die wichtige erste Werkausgabe! [wie die unten folgende Hölderlin-Ausgabe von 1846], Bist Du vielleicht ein seltener unrechtmäßiger Nachdruck? [wie Der Kinderfreund von 1818].

Und weiter: Bist Du die erste Ausgabe dieser Zusammenstellung? [siehe auch die angebotenen Goethes Gespräche in 10 Bänden, herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, 1889-1896], Ist die deutsche Gesamtausgabe auch einheitlich übersetzt? [die deutsche Gesamtausgabe von August Strindberg ist einheitlich verdeutscht von Emil Schering, nicht aber die Sämtliche(n) Werke von Henrik Ibsen, die jedoch auch von dem jungen Dichter Christian Morgenstern übertragen sind, und der mit seiner Übersetzung eine Original-Dichtung geschaffen hat und deshalb zu empfehlen ist], Verfügst Du über einen Index? [so wie die Chronique de 1831 à 1862, die Lebenserinnerungen der Duchesse de Dino], Bist du eine historisch kritische Ausgabe? [so nämlich die von Richard Maria Werner besorgten Sämmtliche Werke des Autors Friedrich Hebbel]. Verfügst Du über bisher ungedrucktes Material? [eindeutig bejahend zu beantworten für die von Waldemar Oehlke herausgegebenen Sämtliche Werke von Bettina von Arnim]. Und dies sind nur die inhaltlich zu beachtenden Fragen. Desweiteren gibt es ästhetische Anforderungen:

Du beinhaltest doch wohl ein Porträt des Autors?, Sind Deine Einbände dekorativ?, Sind Deine Bände einheitlich gebunden? [wie zahlreiche Exemplare der heutigen Angebotsliste], Verfügst Du vielleicht sogar über Illustrationen? [die Oeuvres complètes illustrées von Anatole France, 1925, reich illustriert von verschiedenen Illustratoren], Die typographische Gestaltung hat der Autor wohl auch gebilligt? [wie Rainer Maria Rilke seine sechsbändige Ausgabe im Insel Verlag], Die Typographie ist gut lesbar, in einem kräftigen Schwarz gedruckt und auch das Papier von guter Qualität? [die Musarionausgabe von Friedrich Nietzsche liest sich köstlich auf holzfreiem Papier], Bist Du in einem guten Zustand? [Ja!].

In den anschließenden Notizen aus Frankfurt schildern wir Eindrücke von Kunden des Tresor am Römer über das jüngst eröffnete Romantik Museum. Angemerkt sei nur noch, dass Der mehrbändige Freitag von einer mehrköpfigen Tierschar aus Oeuvres complètes illustrées von Anatole France begleitet wird.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

 

 

 

Romantik Museum hinter mehrteiliger Fassade Zitronengelb wie der Buchschnitt der oben angebotenen Gesammelte Werke von Joseph von Eichendorff erstrahlt ein Teil der Fassade des neu eröffneten Romantik Museums. Kunden des Tresor am Römer berichten uns bereits begeistert von zarten Handschriften, die tatsächlich im Original gezeigt werden.

 

                                                                                 Ebenso wird von einer Himmelstreppe berichtet, deren Aufstieg unendlich erscheinen soll und den Besucher doch eher als vermutet ankommen lässt, wenn nicht im Himmel so doch im 3.Stockwerk. Beim Abstieg, erzählt eine Kundin schaudernd, näherte sie sich sodenn schneller als erwartet der imaginären Gegenwelt des Himmels, nämlich der Hölle, die aufgrund des Dante-Jahres unsere Vorstellungen begleitet. Doch im Erdgeschoss, beruhigt uns wiederum die Hinabgestiegene, versicherte ihr eine Männerstimme in einer dunklen Ecke, dass hinter der alten Brandmauer nicht das Inferno wüte, sondern das nach dem Krieg wiederaufgebaute Elternhaus des Autors Johann Wolfgang von Goethe stehe. Dort verkehre zwar bekanntlich Mephistopheles, aber dieser hätte schließlich zum göttlichen Geschehen einen direkten Draht. Wer der Dunkelmann in der Ecke war, haben wir zwar nicht erfahren, jedoch geistert eine Ahnung durch unsere Phantasievorstellung.

DAS 19.JAHRHUNDERT AM FREITAG

 

Noch nicht jodelnd, aber tanzend und tändelnd wird unser abwechslungsreiches Angebot des 19.Jahrhunderts eingeleitet. Der Tanz beginnt in einem heiteren Allegro giocoso, dessen Tempo sich gefühlsbetont zu verlangsamen vermag. Carl Daub und Friedrich Creuzer führen den Reigen durch die Studien, eine der wichtigsten Zeitschriften der Romantik. Unter dem Pseudonym "Tian" schließt sich hier Karoline von Günderode mit ihren Theaterfiguren dem Groß-Wezier Mangu, Sino und dem Derwisch Udohla ebenso an wie Nerissa aus dem Harem des Sultans. In Tausend und eine Nacht, herausgegeben von August Lewald, verlieren wir uns dank der 2000 Holzstiche in orientalische Welten und in die zum ersten Mal vollständig und treu übersetzten Erzählungen. Aus dem Orient gelangen wir in die Berge. In der alpenschwärmerischen und vor allem seltenen Sammlung auserlesener Gebirgslieder sind nicht nur Blumenranken zart lithographiert, sondern auch Bauernburschen, Jäger und Liebespaare in wieder liebgewonnenen Trachten. Hier empfielt es sich noch etwas um sich selbst zu drehen, bevor aus dem Scherzando ein drängendes Stringendo wird.

Die Pressefreiheit wird nicht nur von J.P.L. Snell in einer Veröffentlichung im Jahre 1829 gefordert. Mit kratzender und sarkastischer Feder kritisiert Heinrich Heine in seiner Veröffentlichung Neue Gedichte - hier angeboten in der zweiten, im Jahr der Erstauflage erschienenen Ausgabe - die deutschen Zustände. Die 1833 in Frankfurt eingeweihte Paulskirche wird 1848/49 Ort des Vorparlaments und der Nationalversammlung. Adolph Streckfuss hat Die Staats-Umwälzungen der Jahre 1847 und 1848 umgehend niedergeschrieben und veröffentlicht. Der chronologisch angeordneten Auflistung folgen noch die damals verbotenen und in einer weiteren Auflage erschienenen Zeitgedichte als Ein Glaubensbekenntniß von Ferdinand Freiligrath, doch dann reitet schon Iwan auf dem grauen Wolf neben der Prinzessin über den Einband des Märchenbandes von Wassiliy A. Joukowsky ein, gefolgt von weiteren Märchen von Gisela von Arnim. Zahlreiche Lithographien zeigen uns sodenn Die Oberlausitz als besondere Abtheilung von Sachsens Kirchen-Galerie, Holzstichtafeln Walrösser aus Der hohe Norden von Georg Hartwig, ein Stahlstich im Handatlas in Foliumgröße von Adolf Stiehler den Kontinent Australien, Originalphotographien lichten das Souvenir de Constantinople ab und der dunkelgrüne Leineneinband in Kalikogewebe präsentiert mit goldener Prägung Die österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872-1874.

Unser 19.Jahrhundert endet mit der dreibändigen Ausgabe Encyklopädisches Handbuch des gesamten Turnwesens, in dem nicht nur – wie auf der einen Abbildung dargestellt – die Erzeugung des Umschwunges erläutert wird, sondern auch mitgeteilt wird, dass das italienische Vereinsturnen auch Frauenabteilungen aufwies, die ziemlich gut besucht waren, wie nämlich jene von Rom mit 80 Damen. Zwei junge Männer haben wir vor der Paulskirche abgefangen, photographiert und befragt. In den Notizen aus Frankfurt unterhalb unserer Liste ist mehr zu erfahren.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Frankfurter Paulskirche & Berliner Wind Die Frankfurter Paulskirche, die nur 120 Meter vom Tresor am Römer entfernt liegt, wird in 17 Tagen eine verstärkte ministeriale und von einem Expertenrat unterstützte Aufmerksamkeit erfahren, denn dieser Ort der ersten deutschen Nationalversammlung soll an nationaler Wirkung hinzugewinnen. Wie diese Absicht gestaltet wird, soll noch vor Ende des folgenden Jahres empfohlen werden. Dass dieser Ort eine besondere Bedeutung hat, ahnen und wissen auch die zahlreichen Besucher, die täglich die Ausstellung in der Paulskirche besuchen. Unter ihnen fallen zwei sympathische junge Männer auf, die sich sogleich bereit erklärten, für unser Foto zu posieren. Adam Janabi aus Katar sowie Quentin Vercruysse aus Frankreich studieren in Berlin und nutzen ihre Semesterferien auch, um Frankfurt am Main einen Besuch abzustatten. Kaum haben sich die beiden wieder auf die ausgestellten Exponate gestürzt, sichten wir die Frankfurter Dezernentin für Umwelt und Frauen, Frau Rosemarie Heilig, die sich noch lebhaft an ihre große Ehrfurcht erinnert, die sie während ihrer ersten im Plenarsaal gehaltenen Rede empfand. Dieses Gebäude und der Paulsplatz mit seinen Platanen ist zudem für viele Frankfurter ein außergewöhnlicher Ort, der eine erhabene und lebhafte Ausstrahlung hat. Und gerade in dem Moment, in dem wir versuchen das gesamte Gebäude im Sonnenschein und nicht im Wolkenschatten abzulichten, beginnt ein neues Gespräch mit einer Kundin und so steht man als plaudernder Bürger vor der Paulskirche - zwar ohne Haube, Sonnenschirm oder Zylinderhut, aber ähnlich wie auf den Stahlstichen des 19.Jahrhunderts.

DER NUMMERIERTE FREITAG

 

Büchersammler werden magisch von der schillernden Anziehungskraft dieser Bücher angelockt. Nummerierte Buchexemplare bergen zumeist Besonderheiten des Materials, schmücken sich mit Seltenheitswert und stechen mitunter durch Einzigartigkeit wie die abgebildeten Drachenentwürfe hervor. Dem japanischen Krieger zur Rechten, dem springenden Fisch zur Linken, dem exaltierten Wurm unten gesellen sich nicht nur weitere von Hand gezeichnete und kolorierte Figuren hinzu, sondern auch ein aus Papier und Holzstäbchen gefertigter Drache. All diese Originale auf und aus feinen japanischen Papierbögen liegen geschützt in der aufwendig hergestellten Mappe Kites of Japan des Meisters Tatsusabro Kato. Einen robusteren Eindruck hinterlässt das Künstlerbuch von Penck. Die Buchseiten aus Karton bieten den kräftigen und energiegeladenen Strichen einen adäquaten Untergrund. „I am ar.penck … who are you?“, fragt der Künstler in 100 signierten und nummerierten Exemplaren den Leser und Betrachter. Ein agiles Höhlensteinzeitmenschlein hebt die Arme neben der hingefegten Signatur oberhalb der Nr.8 im ereignisreichen Jahr 1989.

Besonders empfindlich mutet das Buchkunstwerk Reiner als Sinn an. Die gestrichelten dynamischen Formen von Günther Uecker zu Gedichten von Gennadij Ajdi wurden vom Stein auf samtig anmutendes und zart strahlendes Lithographiepapier gedruckt. Durch des Künstlers und des Dichters Hand ist das Exemplar vorzugsweise als eines von nur 30 römisch nummerierten - hier als die Nr.II - signiert. Ludwig Meidner hat 150 Mappen der expressionistischen Strassen und Cafés mit seinem Namen versehen – vermutlich nicht ohne Hindernisse und Materialengpässe, denn das Werk erschien im Herbst 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges. Und obwohl der Künstler gezwungen war in dieser Zeit seinen Militärdienst in einem Kriegsgefangenenlager bei Cottbus abzuleisten, liegt uns heute die von ihm signierte Nr.108 vor. Noch vor dem Krieg im Jahre 1912 erschien im selben Verlag von Georg Müller eine signierte Vorzugsausgabe des Dichters Richard Schaukal, die das Privileg hatte, auf Büttenpapier gedruckt zu werden als auch in einem edlen Maroquineinband mit goldgeprägten Deckelfileten, Innenkantenvergoldung und Kopfgoldschnitt eingebunden zu sein, um schmeichelnd als Nr.12 von 50 Exemplaren in den Händen des Lesers zu liegen. Nur ein Jahr später ist der handwerklich kunstvolle Handeinband mit der goldgeprägten Deckelvignette aus der Werkstatt von E.A.Enders nach einem Entwurf von Walter Tiemann gefertigt worden und bestätigt die hohe Buchbindekunst dieser Zeit. Unser ältestes nummeriertes Buch von Eugenie Mumm-Lutteroth aus Frankfurt am Main erschien 1889 in ihrer Heimatstadt und zieht vor allem die Blicke durch seine goldbedruckten Seidenbänder auf sich.

 

Im Anschluss des Angebotes kann man in den Notizen aus Frankfurt einem heiteren Zahlenspiel gemeinsam mit Tante Melber und dem Struwwelpeter folgen.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Zahlenspiel & Struwwelpeter Am nummerierten Freitag lassen wir uns von der nicht weit entfernten Gasse Hinter dem Lämmchen mit der Nummer 2 anziehen. Das Schild mit der Hausnummer hängt am rekonstruierten Haus zum Esslinger, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Auf dem Areal entstand später das Technische Rathaus, in dem auch der Tresor am Römer bis zum Jahr 2002, nämlich 25 Jahre lang, sein Domizil hatte. Vor circa zwei Jahren ist das Struwwelpeter Museum in das frisch wiedererbaute Gebäude, das die Frankfurter auch als Haus der Tante Melber kennen, gezogen. Tante Melber war die jüngere Schwester von Johann Wolfgang Goethes Mutter oder auch die zweite Tochter der Familie, die den Kaufmann und Hausbesitzer Georg Adolf Melber geheiratet hat und ihren Neffen Johann Wolfgang häufiger zu Besuch hatte, dessen lebhafte Eindrücke in Dichtung und Wahrheit nachgelesen werden können. Heute bleiben zween Mädchen vor dem Fenster des Struwwelpeter Museums stehen und betrachten mindestens eine doppelte Minute lang die 3 x 2 fremdsprachigen Struwwelpeterausgaben in Chinesisch, Französisch, in Italienisch, Arabisch, Japanisch und Türkisch. Währenddessen bemängelt ein Mann mit kurzer Lederhose auf zwoa stark behaarten Beinen die fehlende bayrische Übersetzung, und ein Paar passiert das Haus mit je einer Wurst, also mit zwei Würsten von der Altstadtmetzgerei Dey (nicht Zwey!). Wir hingegen überlegen mit der neu illustrierten Struwwelpeter-Ausgabe von Hans Witte - wundersam als 222 nummeriert - unter'm Arm, ob hier auf dem Hühnermarkt anno dazumal auch das Zweinutzungshuhn angeboten wurde. Als wir uns sicher sind, dass Hinter dem Lämmchen 2 das Leben von ausschließlich einer Zahl bestimmt ist, promenieren um Punkt 14 Uhr drei, 3, trois, tre, tres, üç, 三 Tauben, also ein Taubentrio durch das harmonische Zweierlei und bringen alles durcheinander. Hanns Guck-in-die-Luft aber – wir sehen ihn auf dem unteren Foto zusammen mit der Museumsleiterin Frau Zekorn im Duo – lässt sich nicht beirren, ja, die Hoffmannsche Reimerei bestätigt sogar die unerwartet aufgetauchte Zahl und erinnert uns wiederum an den unerwartet großen Erfolg des Kinderbuches Der Struwwelpeter: Also dass er kerzengrad / Immer mehr zum Flusse trat. / Und die Fischlein in der Reih' / Sind erstaunt sehr, alle drei.

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