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Ein Interview mit Sibylle Wieduwilt in Aus dem Antiquariat in Heft 4, 2021 finden Sie als pdf-Datei unter dem folgenden Link:
Freitagsseite, Verband, Nachwuchs im Antiquariat

 

›Tresor am Römer‹ mit neuer Inhaberin - ein Gespräch mit Sibylle Wieduwilt

Anfang März 2007 hat Hans Beyerle das Frankfurter Antiquariat ›Tresor am Römer‹, gelegen in der Braubachstraße zwischen Römer, Paulskirche und Museum für Moderne Kunst, an Sibylle Wieduwilt übergeben. Wir veröffentlichen hier ein Interview mit der neuen Inhaberin. Die Fragen stellte Barbara Werner van Benthem.

Frau Wieduwilt, am 3. März haben Sie gemeinsam mit Hans Beyerle die Geschäftsübergabe mit einem Fest für Kunden und Kollegen gefeiert. Nach wie vielen Jahren verabschiedet sich Hans Beyerle vom Tresor am Römer?

Hans Beyerle war zunächst einige Jahre Mitarbeiter im ›Tresor des Livres et Graphiques‹. 1977 übernahm er das Geschäft und änderte den in Anlehnung an die Bibliographie von Graesse gewählten Namen in ›Tresor am Römer‹. Unter Beyerles Regie sind in den ersten 20 Jahren viele Kataloge erschienen, darunter Spezialkataloge mit dekorativer Graphik, sogar Kinderbuch-Kataloge. Auch auf den Kunst- und Antiquariatsmessen sind wir vertreten. Dennoch lag von Anfang an das Hauptaugenmerk auf dem Ladengeschäft.

Wie lange haben Sie mit Hans Beyerle gearbeitet?

Im Oktober 1998 kam ich als seine Mitarbeiterin zum Tresor am Römer. Über die lange Zeit der Zusammenarbeit hatte ich die Gelegenheit, viel von ihm zu lernen, da er mich in alle Geschäftsbereiche integrierte. Von den Messen über die Kundenbetreuung bis zur Preisgestaltung und den Einkauf haben wir alle Entscheidungen gemeinsam getroffen.

Zuvor haben Sie eine Lehre als Antiquarin absolviert?

Ja, obwohl ich laut Lehrzeugnis »Buchhändlerin« bin. Ich war drei Jahre lang Auszubildende im Zentralantiquariat in Leipzig. Da es aber in der damaligen DDR keine Antiquariatslehre gab, gelte ich offiziell als Buchhändlerin. Nach der Wende zog ich mit meinem Mann nach Frankfurt und fing bei Detlev Auvermann in Glashütten an.

Der Name Auvermann steht für das klassische Wissenschaftliche Antiquariat und das Zeitschriftenantiquariat. Beide Bereiche haben unter den strukturellen Entwicklungen der letzten Jahre erheblich gelitten. Wie ging es für Sie weiter?

Sicher sind die Bedingungen für das Wissenschaftliche Antiquariat durch die Etatkürzungen in den Bibliotheken schlechter geworden. Das war aber für mich nicht der Grund, wieder zu wechseln. Nach fast sechs Jahren bei Auvermann zog es mich zurück in die offene Atmosphäre eines Ladenantiquariats. So kam ich nach kurzer Station im Antiquariat Jürgen Koch, ebenfalls hier in Frankfurt, zu Hans Beyerle.

Der Tresor am Römer versteht sich als Allgemeines Antiquariat mit einem gehobenen Angebot. Gibt es Spezialisierungen?

Für mich ist es wichtig, alle oder zumindest die meisten Gebiete abzudecken. Das reicht von der dekorativen Graphik über Francofurtensien, Naturwissenschaften und alte Reisebeschreibungen bis zu Kinderbüchern. Sie finden im Tresor durchaus einen alten Reiseführer oder einen Stahlstich für ein paar Euro, aber eben auch Johann Gabriel Doppelmayrs ›Atlas novus coelestis‹ für 29.000 Euro oder Elisabeth Blackwells Kräuterbuch. Das ›Herbarium Blackwellianum‹ für 38.000 Euro ist ebenso zu haben wie das berühmte ›Schnäppchen‹.

In Frankfurt haben in den letzten fünf bis acht Jahren zahlreiche Antiquariate und Galerien in der Innenstadt geschlossen. Andere sind in die Vororte ausgewichen. Eine Folge des Internets?

Ich halte es für falsch, für jeglichen Wandel in unserer Branche das Internet verantwortlich zu machen. Natürlich hat das Internet den Antiquariatsbuchhandel verändert, es hat die Preise in bestimmten Angebotssegmenten transparenter gemacht, teilweise nivelliert. Und doch glaube ich, die richtigen Sammler nutzen das Internet, wie die Antiquare auch, als Recherchemöglichkeit, für gezieltes Suchen. Der Marktplatz für Bibliophile bleibt nach wie vor der Katalog, die Antiquariatsmesse und das Ladengeschäft. Nach der Euphorie des Internetbooms setzt sich diese Erkenntnis langsam durch. Für viele Antiquare sind die Ladenmieten und die Nebenkosten in bevorzugten Geschäftslagen ein weit größeres Problem.

Aber ist es nicht auch eine personelle Frage, bedingt durch die flexibleren Ladenöffnungszeiten?

Öffnungszeiten bis in die Abendstunden sind für den Tresor am Römer nur an besonderen Tagen relevant. Ich öffne von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 18 Uhr, wobei meine Kunden darüber hinaus jederzeit klingeln oder einen Termin vereinbaren können. Da ich vorerst den Laden alleine führe, um Personalkosten zu sparen, erledige ich die Büroarbeit während der Öffnungszeiten, in der Mittagspause gehe ich als Packerin zur Post, und während der Antiquariatsmessen werde ich, wie in jedem Familienbetrieb, meinen Mann als Standhilfe oder Ladenaushilfe engagieren. Die meisten Kollegen arbeiten ähnlich, denke ich.

Und der Samstag?

Der Samstag ist hier auf der Frankfurter ›Kulturmeile‹ besonders wichtig. Das Interesse der Kunden verschiebt sich verstärkt auf das Wochenende, weshalb ich von 11 bis 14 Uhr und zunehmend länger öffne.

Nun gibt es Planungen zur Sanierung der Altstadt, wonach in der unmittelbaren Umgebung neue Läden, Galerien und Cafés entstehen sollen. Würde sich das auf Ihr Geschäft auswirken?

Ich hoffe, dass es mehr Kunden anzieht. Solange sich keine Laden-Ketten und Franchise-Geschäfte ansiedeln, wird es für eine Belebung sorgen.

Der Tresor am Römer lockt demnach nicht nur die Stammkunden ins Antiquariat, sondern auch neue Kunden?

Ja, darunter sind viele jüngere Leute, die Zeit und Lust zum Stöbern haben und zwischen Einkauf und Museumsbesuch das Antiquariat für sich entdecken. Hier profitiert der Tresor von der Nähe zum Museum für Moderne Kunst und der Schirn Kunsthalle. Viele Kunstinteressierte registrieren plötzlich, dass neben der modernen auch die alte Kunst, die Graphik, ihren Sammlerreiz hat. Im Tresor am Römer ist es oft so, dass das Interesse durch die Graphik geweckt wird.

Widerspricht das nicht dem Trend, wonach das Kaufverhalten bei alter Graphik rückläufig sei?

Das sehe ich nicht so. Der Kauf von Graphik funktioniert über das Auge. Das A und O ist, gerade im hochpreisigen Bereich, die persönliche Beratung, das intensive Gespräch. Die Atmosphäre alter Bücher, die greifbare Ästhetik, Geschichte und Kultur sind nirgendwo direkter spürbar.

Frankfurt gilt ja nicht gerade als Buch-, sondern eher als Bankenstadt.

Meine Stammkunden kommen von überall her, darunter viele Touristen oder Sammler, die auf den Antiquariatsmessen auf den Tresor aufmerksam geworden sind. Aber durchaus auch der Geschäftsreisende, der einen Abstecher ins Antiquariat macht.

Skeptiker würden behaupten, das kann doch gar nicht funktionieren.

Doch. Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Ich erziele 75 Prozent des Umsatzes über den Laden und die direkten Kundenkontakte, die restlichen 25 Prozent erwirtschafte ich über das Internet und in Zukunft, angesichts des seit mindestens zwei Jahren rückläufigen Internetgeschäfts, wohl auch wieder über kleine, aber feine Katalogangebote.

Und die Antiquariatsmessen?

Natürlich bin ich auf der Frankfurter Messe im Oktober vertreten. Als Mitglied im Verband Deutscher Antiquare stelle ich auf der Stuttgarter Antiquariatsmesse und 2007 erstmals in London aus. Für mich sind die Messen eine zusätzliche Möglichkeit der Kundenwerbung, auch auf dem internationalen Markt. Sie entsprechen dem Konzept, mit dem Tresor am Römer auf die Menschen zuzugehen. Es ist an uns Antiquaren, genau dies nicht zu vergessen. In der heutigen Konsumgesellschaft ist es doch an der Tagesordnung, die Anonymisierung zu beklagen. Unsere Branche hat eine echte Alternative zu bieten.

 

Tresor am Römer, Sibylle Wieduwilt, Braubachstraße 32, 60311 Frankfurt, Tel. 069 / 281248, Fax: 069 / 282160, E-Mail: info@tresor-am-roemer.de, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 18 Uhr, Samstag 11 bis 14 Uhr, und nach Vereinbarung.

Aus dem Antiquariat. Zeitschrift für Antiquare und Büchersammler Neue Folge 5 (2007), Nr. 2, S. 132-134.

Das Gespräch führte Frau Dr. B. Werner van Benthem