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VIELERLEI AM FREITAG



Über vielerlei handkolorierte Kupferstiche auf edelblauem Papier verfügt ein Buch aus dem Jahre 1786, das wir nicht nur aufgrund der prächtigen Ausstattung für diese Liste ausgewählt haben. Die Texte verfügen über reichhaltige Informationen und in einschlägigen Nachschlagewerken wird diese Ausgabe als bedeutsamste im 18.Jahrhundert über die zumeist orangebeinigen Geschöpfe erhoben. Nachzulesen ist in der hier angebotenen überarbeiteten Ausgabe, dass diese Lebewesen ein sehr gutes Gedächtnis haben, vor allem was lebensgefährliche Situationen betrifft. Schaut man ihnen in die Augen, bestätigt sich der Eindruck eines wachen Gegenübers. Berührt man ihre Füße, zuckt man erschreckt zurück, denn sie sind eisekalt. Ihre Kleidung, vor allem die der männlichen Exemplare, ist vorwiegend prächtig und schillert in der Abendsonne, wenn sie einen Bummel durch den Park machen.


Betrachtet man die sorgfältig kolorierten Porträts, die von F.N.Martinet gezeichnet und gestochen wurden, kann man einen frechen Ausdruck in ihrem Gesicht nicht leugnen. Leider ist ihr Gang alles andere als graziös und ihr Organ eher penetrant. Doch sie verfügen über interessante Eigenschaften, die in der Histoire naturelle des oiseaux von dem Naturforscher Comte de Buffon geschildert werden. Seine Erkenntnisse fußen auf Beobachtung und experimentellen Untersuchungen. Dieses ornithologische Fachbuch, so jubeln die Autoren von Fine Bird Books, gehört immer noch zu den wichtigsten aller Vogelbücher. Selbst Frauen, so haben wir (Frauen) einem weiteren Buch über Vögelbücher entnommen, haben wegen des sprühenden aber auch verständlichen Stils die Texte des Buffon gelesen. Wir möchten den Genuss betonen, mit dem man in dieser luxuriösen Ausgabe liest - aufgrund der großzügigen Typographie, des edlen Einbandes, des splendiden Formates in Folio sowie aufgrund des verführerischen Changierens der kunstvoll per Hand kolorierten Federkleider. Vielerlei leuchtende Farbreize springen uns auch zur Linken, zur Rechten und vor allem aus dem Kartenspiel von Sonia Delaunay entgegen. In farblichen Variationen trumpft stattlich kariert der König auf, Halbkreise und Rechtecke jokern, die Königin reizt schlangenförmig, ein klassisch prallrotes Herz macht auf sich aufmerksam vor einem strahlenden Grün und das Grün strahlt mit dem Herzen. Wer zum Pokerspiel gerne Kekssterne mit echtem Vanillepuderzucker isst, dem empfehlen wir unterhalb der Angebotsliste die "Notizen aus Frankfurt" zu lesen.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Vielerlei Plätzchen Im Interesse unserer Ladenkunden kann berichtet werden, dass am 1.Advent fünf unterschiedliche Sorten Kekse gebacken wurden. Die aufwendige Herstellung - jeder, der bereits Weihnachtskekse gebacken hat, erinnert sich und weiß, dass es sich um eine mehrstündige Biscuitaktion gehandelt haben muss - ... die aufwendige Herstellung also hat Sibylle Wieduwilt gut gelaunt auf sich genommen, um ihren Stammkunden Vanillesterne, Elisenlebkuchen, Kokos-Schokoecken, Orangenmakronen und Zimtschnecken anzubieten. Auf dem einen Foto ist übrigens ein rollender Ausstecher erkennbar, der von der Großmutter der feinbackenden Antiquarin stammt und seit ungefähr 100 Jahren zur Adventszeit hervorgeholt wird. Von besonderer Intensität ist der Geschmack der Vanillesterne - dies kann nach einem Testessen füglich behauptet werden. Für diese wurden ausschließlich Vanillestangen aus der Südsee verwendet, die sich von denen der Bourbon Vanille unterscheiden. Der Geschmack der Südsee Vanille ist blumig-würzig und tanzt noch Minuten nach dem Gustieren über den Gaumen. Geschmacksergebnisse werden wir in den nächsten Tagen im Tresor am Römer vergleichen und bitten auch in dieser Angelegenheit um vorweihnachtlichen Besuch.

BAUWERKE UND DEKORATION AM FREITAG


Heute richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf Bauingenieure und Architekten, auf Innendekoration und Möbel. Die beiden Leuchttürme, die diesen einleitenden Text flankieren, erregen nicht nur bei Schiffskapitänen Aufmerksamkeit, sondern auch bei denen, die sich für deren Geschichte und Bautechnik interessieren. Die Architectura Hydraulica von Bernard de Bélidor, die in der ersten deutschen Ausgabe aus den Jahren 1768-1770 in unserer Angebotsliste zu finden ist, beherbergt nicht nur Beschreibungen zu Leuchttürmen, Wasserrädern und Hafenbecken, sondern auch zum ersten Mal einen Fachausdruck, der bis heute und auch von Laien verwendet wird: Beton. So kündigt der Autor im Dritten Buch an Wie beym Grundlegen unter dem Wasser, ... der Mörtel, Beton genannt, gebrauchet wird und lässt das begehrte Betonrezept folgen. Dieser als Standardwerk bezeichnete Titel über den Wasserbau verfügt über verschwenderische 52 Kupfertafeln, die es weder an Details noch an Genauigkeit der Zeichnung fehlen lassen.

Grundrisse, Profile und Aufrisse finden sich auch in der Mappe eines Architekten der sogenannten Schinkelschule. Friedrich Hitzig konnte aufgrund seiner zahlreichen Studienreisen nach Ägypten, Griechenland, in die Türkei sowie nach Frankreich und Italien die klassizistischen Formen, die Karl Friedrich Schinkel verwendet hat, durch Renaissanceelemente erweitern und hat mit neuem Alten den Berliner Historismus vorangetrieben.

 

Dieser fand Erfolg u.a. bei den Neubauprojekten im Tiergartenviertel Mitte des 19.Jahrhunderts. Die Fassaden der Wohnhäuser sind in farbigen Lithographien wiedergegeben und werden durch Aufrisse und Durchschnitte durchschaubar sowie begreiflich gemacht. Dank des Imperial-Folio-Formats verfügen die Darstellungen nicht nur über informative, sondern auch über dekorative Möglichkeiten, den Betrachter zu begeistern. Weiteres Interesse wird durch die Erläuterungen zu den einzelnen Häusern hervorgerufen, die Wünsche der Auftraggeber und deren Berücksichtigung in der Ausführung beschreiben. So werden die unterschiedlichen Gestalten der Häuser für einen Bildhauer, einen wohlhabenden Beamten, für einen Baron und noch für einen weiteren Baron erklärbar. Viele der inzwischen zerstörten Gebäude sind heute auch durch die Mappe Ausgeführte Bauwerke von Friedrich Hitzig in seinen Architekturzeichnungen nachvollziehbar.

Der Sammelband mit 61 Mustertafeln für Möbel aus der gleichen Zeit schlägt Mobiliar vor, das den französischen Einfluss demonstiert, sind doch die kolorierten Lithographien in Paris als auch in Frankfurt am Main hergestellt worden. Wiederum verblüfft die Stilvielfalt und der Ornamentreichtum aus unterschiedlichen Jahrhunderten, bis wir blätternd bei einem veritablen Bluff landen - ein Paravent, das verdecken soll, mit dem Bilde einer Gefühlsaufdeckung. Es zeigt eine mittelalterliche Szenerie, die sogar heutige Frauenherzen höher schlagen lässt, nämlich die Errettung einer am Burgfenster harrenden Frauenseele durch einen ... oder besser durch den Einzigen, so dass der unvermeidliche Damenseufzer durch nicht weniger als all die hier in der Angebotsliste enthaltenden Bauwerke hallt.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Aus den Räumen des Tresor am Römer wurde vor der Buchmesse in der Frankfurter Rundschau berichtet. Der anschauliche Zeitungsartikel von Claus-Jürgen Göpfert mit dem Titel „Ein schönes Buch behauptet sich“ informiert den Leser über Handel und Wandel mit antiquarischen Büchern, über die Ladensituation in Frankfurt sowie über Erfahrungen der Antiquarin in der DDR. Bei Interesse kann man dem Link folgen: „Ein schönes Buch behauptet sich“ Auf dem Foto ist übrigens der Autor des Artikels als buchinteressierter Mann mit Hut im Hintergrund zu erahnen, im Vordergrund neben Sibylle Wieduwilt pausiert der Meister Floh von E.T.A. Hoffmann, dessen gutmütiger Held Peregrinus Tyß hier in Frankfurt ein geräumiges Wohnhaus am Rossmarkt geerbt hat, so für immer mit der Stadt am Main verbunden bleibt und der Roman aufgrund der splendiden Immobilie eine Ergänzung für das heutige Freitagsthema sein kann.
 

FREITAGSAUSFLUG IN DIE ANTIKE


Bei dieser Exkursion kann man wachsende Eselsohren beobachten, raubende Küsse im Ringen, Wettstreitigkeiten mit Musen, verschmelzende Körper, Entführungen und allerlei außergewöhnliche Verwandlungen. Perdix wird in ein Rebhuhn metamorphisiert, Daphne in einen Lorbeerbaum oder ein grausamer König in einen Wolf. Staunend können wir die zahlreichen Liebschaften des Jupiter betrachten, für die er sich mitunter selbst verwandelt. Grausam endet die Liebesgeschichte der Skylla, die sich in Minos verliebt hat und, um ihn vor dem Krieg zu bewahren, die Siegessträhne ihres Vaters entfernt. Wie Minos sich daraufhin verhält und wer der Fischadler ist, könnte man in den Werken von Ovid lesen. In der Angebotsliste befindet sich eine wichtige Ausgabe aus dem Jahr 1702 mit Kommentaren von Nicolaus Heinsius, welche spätere beeinflusst hat. Diese Opera omnia beinhalten zudem Kupfertafeln, auf denen sich die Götter vielgestaltig und rege tummeln. Sie enthält auch die Ars Amatoria von Naso P. Ovidius, die der liebesbedürftigen Kundschaft entgegenkommt. Die Kunst der Liebe gilt als unentbehrliche Unterweisung, kommen doch die wenigsten Herren heutzutage auf die Idee, das Kleid der Frau hochzuheben, weil es sonst verschmutzt. Auch ein zurechtgelegtes Polster oder das Unterschieben einer Fußbank vermögen noch heute - dies wissen wir aus eigener Erfahrung - eine positive Wendung in Werbungssituationen zu bewirken. Leise seufzend wenden wir uns nun ab und einer ganz anderen Literatur der Antike, nämlich dem Autor Homer, zu.

Besondere Aufmerksamkeit verdient das Schild des Achilles mit dem im Text auffallend detailreich beschriebenen Kosmos. Ein bildnerisch dargestellter Druck dieser homerischen Erfindung befindet sich in The Iliad, eine Ausgabe, die 1715-1720 in London erschien und auch durch seine großzügige Typographie auffällt. Alexander Pope arbeitete sechs Jahre an dieser legendären Umdichtung der Ilias, die er in Subskription veröffentlichte und sogar ein finanzieller Erfolg für den Autor war. Die Liste der Subskribenten führt lauter Dukes, Earls, Lords, auch Sirs, Reverends, Lieutenants, ja sogar hier und da eine Duchess, Lady oder Mrs. auf und wird durch Edward Young beschlossen. Mittendrin blitzen Namen wie Sir Isaac Newton und Lady Cavendish auf, die nicht nur die Entourage erhellen. Etwas früher, im Jahr 1709, erschien Les restes de l'ancienne Rome, drei Groß-Folio Bände mit über 180 Kupferstichen, die historische Bauten in Rom zeigen. Die Begeisterung für Italien hat in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem in England eingesetzt und wurde wortreich mit Reisebeschreibungen, Reisebriefen und Reiseführern, bildreich mit Kupferstichen wie aus diesem Prachtwerk des Amsterdamer Zeichners und Kupferstechers Bonaventura van Overbeke begleitet. Es gilt zahlreiche Tempel von allen möglichen Göttern zu entdecken, Mausoleen und Gräber, Brücken, Berge, Theater, Tore, Obelisken, Säulen, Mauern, die in diesem Format tatsächlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Hinweisen möchten wir heute auch auf unseren neuen ergänzenden Webshop, über den Sie den Großteil unseres Angebotes einsehen und sogleich eine Bestellung aufgeben können. Er zeichnet sich aus durch hohe Praxistauglichkeit bei konkreter Suche sowie bei flanierenden Stöbereien, aber auch durch Übersichtlichkeit und Informationsfreudigkeit. Nach dem Studium der Freitagsseite empfehlen wir eine Visite unter: Webshop

DER MESSEGENEIGTE FREITAG


Dass ein Buch gleichzeitig von zwei Sammlern begehrt wird, kommt immer wieder auf Antiquariatsmessen vor. Sollte dieses Exemplar von zwei oder mehreren Interessenten im Katalog entdeckt werden, entscheidet derzeitig das Los, zuvor - bis 2009 - hat der Schnellste das Objekt der Begierde errungen. Doch wie wird das Problem gelöst, wenn zwei Sammler hocherfreut und vor allem gleichzeitig am Stand zugreifen? Diesen Fall möchten wir hier vorstellen, auch um für den Fall der Fälle unterschiedliche Taktiken anzuregen, denn hier reüssiert nicht das Losglück oder der strammste Wadenmuskel, sondern strategische Raffinesse, verwirrungsstiftende Verhandlungskunst, eine gewisse Verschlagenheit, Durchhaltevermögen, taktisches Geschick, die Fähigkeit, den Gegner einzuschätzen und ein Talent für die Anwendung von möglichst unterschiedlichen Täuschungs- sowie Ablenkungsmanövern. Stellen wir uns also vor, dass zwei ältere Herren, beide in der Blüte ihres Sammlerdaseins, das Lehrgedicht Der Renner von Hugo von Trimberg am günstig gelegenen Stand No.29 gegenüber vom Eingang erspähen. Zielstrebig laufen sie auf das aufgestellte Werk zu, um es in die Hände zu nehmen und zu inspizieren. Auf dem letzten Meter bemerken sie die Konkurrenz und taxieren sie aus den Augenwinkeln, um missmutig eine äußere Ähnlichkeit festzustellen. "Gestatten Sie!", "Ich bitte Sie!" rufen sie gleichzeitig.

Die Antiquarin tritt zur Seite, denn sie ahnt die kommende Auseinandersetzung. Die sehr seltene erste Ausgabe von 1549 strahlt, die Buchstaben der aufgeschlagenen Titelseite scheinen sich auf die andächtigen Betrachter zuzubewegen. "Gedruckt in Frankfurt.", "Welch Papier-, welch Druckqualität!" Schweigen. Der eine: "Die Habgier", er fixiert den Nachbarn mit spitzen Pupillen "... hat ganz alleine / Mit allen Missetaten etwas gemein: / Bosheit ist ihre Kammersfrau, / Kargheit ist ihre Kellnerin ...". Der andere: "... Hinterlist ist ihre Haarflechterin ... Ein Zitat aus dem Buch. Kenne ich ... natürlich." Stille. Neben dem Renner prankt die sogenannte zweibändige Kurfürstenbibel von 1736. Den einen Sammler bringt sie aufgrund ihrer stattlichen Erscheinung auf die Idee, ein Ablenkungsmanöver zu starten. "Das ist aber eine besonders prächtige Kurfürstenbibel. Beschläge und Barockschließen von dieser Qualität sieht man selten." Jubelnd und die einzelnen Worte im Staccato betonend fährt er fort: "Leder der Zeit über Holzdeckeln mit reicher Rückenvergoldung, Deckelvergoldung und gepunzter Goldschnitt!" Der andere nickt zustimmend, denn diese Bibel kann nur Bewunderung hervorrufen. Dann ahnt er die List. Geistesgegenwärtig zeigt er auf eine von W.N.Masjutin illustrierte Puschkin-Ausgabe Ruslan und Ludmilla, die auch aufgrund der seitengroßen pochoirkolorierten Illustrationen einen besonders anziehenden Reiz auf viele Buchliebhaber ausübt.

Ludmilla wird von einem bösartigen Zauberer in der Hochzeitsnacht entführt und so kann der Held Ruslan, der wie ein Ritter ohne Furcht und Tadel agiert, trotz aller Gefahren und Widrigkeiten der ersten fünf Gesänge seine Braut im letzten befreien. Allein die liebreizend roten Wangen des von Masjutin dargestellten Helden lassen erkennen, dass das Heldenpoem vom jungen A.S.Puschkin nicht so beschrieben wurde, wie es 1820 üblich war und dass das Heroische parodistische Züge trägt. Der andere Sammler: "Masjutin konnte Puschkins eigensinnigen Stil in den Figurendarstellungen vereinigen. Außergewöhnlich! Was sagen Sie?" Der eine Sammler: "Allerdings. Eine wunderbare Beute für jeden Sammler." Schaut den anderen Sammler auffordernd an. Dieser sagt etwas frech: "Sie haben ganz rote Ruslanwangen." Und wütend - tatsächlich mit Wangenrot - greift der eine Sammler zu dem Renner. Auch der andere sieht jetzt gerötet aus und will sich das Buch schnappen. In diesem Moment taucht am Stand No.29 eine Sammlerin auf. Eine begehrenswerte und vielumworbene Erscheinung, die das Sammlerherz des einen wie des anderen höher schlagen und die gierigen Sammlerhände sinken lässt. Den Renner beachtet sie nicht, die beiden Sammler immerhin mit einem freundlichen aber kurzen Blick, um sich der zweyten ächten Auflage der Leiden des jungen Werthers zuzuwenden. Auch der eine wie der andere Sammler wendet seinen Blick in Richtung Werther. Der Renner steht jetzt unbeachtet im Messeregal.

"Klein-8°. Sieht eigentlich ganz unscheinbar aus", stellt der eine Sammler mit dialogbereitem Blick zur Sammlerin fest. "Ein Erfolg von europäischer Tragweite!", hebt der andere an, natürlich auch mit Blick. "Welch tragische Liebesgeschichte." Sammlerseufzen. "Eine Dreiecksgeschichte." Der eine Sammler blickt im Dreieck, ebenso der andere. Immer noch keine Reaktion von Seiten der Sammlerin. Jetzt werden die beiden Herren unruhig. Der eine prescht vor und ruft aus: "Lotte, eine beeindruckende Frauenfigur in jener Zeit..." "Mir liefen die Tränen.", gesteht der andere mit Leidensmiene. Jetzt muss die Antiquarin lachen und die Sammlerin lächeln. Die Situation wandelt sich. Kurz darauf werden drei Bücher am Stand No.29 gekauft und es bildet sich ein erstaunliches Trio infernale der Sammelleidenschaft, das über die Antiquariatsmessen der ganzen Welt herfallen wird. Wir staunen. Der weise Kater aus Ruslan und Ludmilla hingegen blickt abgeklärt - nur seine ausgefahrenen Krallen lassen eine gewisse Erregung erahnen - und verweist auf weitere Informationen in den Notizen zu der Antiquariatsmesse unterhalb der Angebotsliste.

NOTIZEN ZU DER ANTIQUARIATSMESSE

"Hier werden selbst Museums-Chefs zu Sprintern" Vom 16. bis zum 18. Juni 2023 findet endlich wieder die Antiquariatsmesse Stuttgart statt. Nicht nur diverse Papierarten, unterschiedliche Buchleineneinbände, genarbtes Maroquin, kühles Pergament und feinstes Kalbsleder der ausgestellten Stücke können wieder berührt werden, auch zahlreiche Hände werden wieder gedrückt, Wangen geküsst und Umarmungen werden vermutlich noch fester genossen nach immerhin zwei schnöden Jahren des digitalen Exils. So findet dieses Jahr die 60.Antiquariatsmesse Stuttgart statt, allerdings im nahe gelegenen Ludwigsburg, da die gewohnten Ausstellungsräumlichkeiten renoviert werden. Anlässlich dieses Jubiläums erscheint das Handbuch des Verbandes Deutscher Antiquare, mit Texten und Interviews von Barbara van Benthem, Dieter Zipprich und Sibylle Wieduwilt, unter dem Titel "Gutenberg ist an allem schuld". Es kommen nicht nur Sammler und Antiquare mit Blick auf die Entwickung der Messe des antiquarischen Buches zu Wort, sondern es findet sich auch eine höchst interessante Messe-Chronik mit Presseausschnitten und zahlreichen Fotos, die u.a. auffällig fröhliche Messebesucher und blitzschnelle junge Männer zeigen. Die beauftragten Läufer, die im Laufe der Jahrzehnte immer schneller und wendiger wurden, sind im Jahre 2009 durch Lose ersetzt worden, da die Sammler - vermutlich mitunter gebeugt von Alter und Krankheiten - im Laufwettbewerb nicht mehr zu reüssieren im Stande waren. Zudem war das Rennen zum begehrten Sammlerobjekt nicht ohne Gefahren, soll es doch im Laufe der Zeit auch zu Stürzen gekommen sein. Es kam sogar vor, dass Sammler fünf Stunden Wartezeit in Kauf genommen haben, um ihr Lieblingsobjekt ergattern zu können. Sollten Sie, verehrter Leser, nun auch ein Drängen verspüren, die Antiquariatsmesse zu besuchen, nutzen Sie den Kontakt zu uns, um Eintrittskarten zu erhalten. Für weitere Informationen tätigen Sie diesen Link, jedoch nicht ohne die Nebenwirkungen zuvor bedacht zu haben, denn "Graphik ist Opium für das Volk." und “Wer sammelt ist selbst schuld.”

BOOKS IN ENGLISH ON FRIDAY


Wer Großbritannien mag, der ist zumeist auch Blumenliebhaber und umgedreht. Fröhlich fahren Hobbygärtner jeden Geschlechtes Ende Mai nach Chelsea zu der bedeutendsten Flower Show des Königreiches, die Damen unter einem Sommerhut im englischen Landhausstil, die Herren sonnengeschützt durch einen Balmoral-Hut, versehen mit einem englischen Clubstreifen am Ripsband. Die Stimmung entspricht den leuchtenden Farben der dargebotenen Blumenpracht. "Astonishing!", rufen die einen, "Beautiful", seufzen die anderen. Tatsächlich hat die Gartenkultur in Britannien eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Für die Botanikbewunderinnen ist es ein Glücksumstand, dass Jane C. Webb Loudon durch ihren Mumienfluchroman The Mummy! ihren zukünftigen Gatten, den Botaniker und Landschaftsarchitekten John Claudius Loudon, kennenlernte und an der Hortikultur Interesse fand. Sie verfasste Standardwerke über das Gardening für Ladies und später schuf sie auch als Blumenmalerin gepriesene Werke, deren wir eines in der ersten Auflage aus dem Jahre 1840 präsentieren können. Dargeboten wird The Ladies' Flower-Garden mit umfangreichen Beschreibungen und 48 Blumenarrangements. Die von Hand kolorierten Lithographien leuchten und strahlen, als gäbe es zwischen den Grafiken und der Natur einen Wettstreit um die Goldmedaille in Chelsea. Der wertvolle Maroquineinband bestätigt dieses Streben mit seiner reichen ornamentalen Deckel- und Rückenvergoldung, Steh- und Innenkantenvergoldung und dem verführerisch goldschimmernden Schnitt.


Wiederum in Chelsea gibt es den Physic Garden, dessen Direktor Ende des 18.Jahrhunderts William Curtis war. Der Botaniker arbeitete zudem 22 Jahre an einem Mammutwerk, das Flora Londinensis übertitelt, die Pflanzen der Hauptstadt London im Umkreis von 10 Meilen beschreibt und auch als erste farbig illustrierte Flora Englands bezeichnet wird. Ganze 432 handkolorierte Kupferstichtafeln versammeln sich in zwei Foliobänden, die wir für Interessenten trotz des enormen Buchkörpergewichts zu zweit aus dem Bücherregal hieven würden.

Englische Bewunderer dieses Werkes, kurz: Engländer, haben fast ausnahmslos leichtarmig das Herausheben der Kolosse übernommen. Überhaupt nicht angestrengt teilten sie uns mit der Botanik Londons im Arm mit, dass sie in ihrer Freizeit Feldhockey, Cricket, Football, Rugby oder Golf und manchmal auch Blindman's Buff (d.i. Blinde Kuh!) spielen würden. Nur einer musste von uns unterstützt werden, nicht weil er nicht kräftig genug gewesen wäre, sondern weil er nur wenig größer als das Botanikwerk war ... er sei Berufsjockey und seine Freizeit verbringe er leidenschaftlich gerne mit ... "Gardening", verriet er uns mit roten Wangen, als wenn er ein Geheimnis preisgeben würde. Und wirklich überblätterte er in dem Bändchen Juvenile Sports for Boys and Girls, das wir sogleich geschäftstüchtig aus der Vitrine holten, das Kapitel Rocking-Horse, um den Kupferstich Watering the Garden mit entzücktem Blick zu betrachten. ... Nun aber - bevor die englischen Gäule zu sehr mit uns durchgehen - sollten wir doch gestehen, dass wir mit all den Supersportlern aus England etwas übertrieben haben, der Jockey ist sogar in Gänze erfunden. Allerdings sind wir fast ohne Scham geständig, denn mit dem kleinwüchsigen Reiter hatten wir besonders viel Freude ... in der Imagination natürlich. So bleibt uns noch, William Thackeray für die heiteren Illustrationen zu danken und ihm einen netten Freitag sowie ein schönes Wochenende zu wünschen. Weitere witzige Zeichnungen finden unsere Kunden in der im Angebot vorhandenen Thackerayana oder in den unlustigen aber informativen Notizen aus Frankfurt übertitelt mit Guude & Hello.

 

 

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Guude & Hello In Frankfurt tönte es zu Messezeiten nicht nur "Guude!", sondern auch "Bonjour!" und "Hello!". Anfang des 19.Jahrhunderts hörte man die englische Begrüßung immer häufiger und tatsächlich gab es in Frankfurt ungefähr 20 ansässige Handelshäuser, die ausschließlich mit englischen Manufakturwaren handelten, über 200 Firmen verkauften unter anderem englische Ware. Ein ganz besonderes Stück erwähnen wir am Ende dieses Textes. Zudem gibt es Hinweise, dass es zu jenen Zeiten auch bei Frankfurter Künstlern oder Schriftstellern ein anglophiles Interesse gab. Maria Katharina Prestel, die hier am Main mit ihrem Mann eine auf Aquatinta spezialisierte Kupferstichwerkstatt führte, machte sich 1786 nach London auf, um dort zu arbeiten, mit wirtschaftlichem Erfolg. Dort boomte der Grafikmarkt, so dass sogar Verleger aus England nach Frankfurt zur Messe kamen, um Stecher anzuwerben. Sophie von la Roche, die tränenreiche Romane im empfindsamen Stil schrieb und im nachbarlichen Offenbach lebte, machte sich zu jener Zeit für eine Englandreise auf. Auf dieser Reise besuchte sie auch Mrs. Fanny Burney, erfolgreiche Schriftstellerin und zu jener Zeit Hofdame der Königin Charlotte. Diese notierte in ihrem Tagebuch den stürmischen Ausruf der Offenbacherin: "Coom to me arms! que je vous embrasse mille fois!". Vermutlich, so möchten wir heiter berührt hinzufügen, betäubte der schrille Überschwang in diesem Moment den Willen zur korrekten Grammatik. Auch Johann Wolfgang von Goethe war an der englischen Literatur sehr wohl interessiert. So erwähnte er die Lektüre von The Vikar of Wakefield des Autors Oliver Goldsmith. Zudem soll er im Wetteifer mit einem Kumpel The Deserted Village ins Deutsche übersetzt haben. Das sei hier betonend vermerkt, da diese Elegie in der fünften Auflage, immerhin im Jahr der Erstauflage, in unserer obigen Angebotsliste aufgeführt wird. Von Goethe übersetzt sind auch die Songs of Selma von James Macpherson, Auszüge aus Hamlet von William Shakespeare und Manfred von Lord Byron. Der misstrauische Arthur Schopenhauer, der ab 1833 in Frankfurt nörgelte, soll Geldgeschäfte aus Sicherheitsgründen in fremden Sprachen notiert haben, so auch sein Rechnungsbuch, das er auf Englisch führte. Ebenso ist seine Meinung zum allgemeinen Ehestand überliefert, die er wie folgt formulierte: "Matrimony - war and want!" In diesem Zusammenhang empfehlen wir das Oxford Washout Closet, das mit Blumen bemalte und in Oxford um 1890 gefertigte Wasserklosett aus dem Historischen Museum, das einst in Frankfurt gute Dienste geleistet hat. Vielleicht wäre sogar Schopenhauer in besserer Stimmung gewesen, hätte er solch eine einladende und hygienische, ja sogar hübsche Sanitäranlage besessen. 
 

ZEITREISE AM FREITAG


Klio, Muse der Heldendichtung als auch der Geschichtsschreibung, und der beflügelte Putto reisen heute mit uns in die Vergangenheit der Menschheitsgeschichte und machen einen ersten Halt in Frankreich vor den Toren von Troyes. Dort können wir an einem Gespräch teilhaben, das zwischen Charles VII. und Jeanne d'Arc stattgefunden hat - in der Chronica Frankreichs von Nicole Gilles.

In der ersten deutschen Ausgabe von 1572 lesen wir, wie der König vertraulich "Meine liebe Johanna ..." sagt. Auf das sagt sie "Edler König, haben keinen Zweifel daran ..." In diesem hier nur angedeuteten Gespräch wird Geschichte geschrieben, soviel sei bereits verraten. In Folge "bewaffnet sich Johanna eilends, saß auff ein groß Pferd, nahm ein Wehr in die Hand ...". Später wurde sie gefangengesetzt, an die Engländer verkauft und 1431 auf dem Marktplatz von Rouen verbrannt. Hinter dem sachlichen Wort Chronik versteckt sich mitunter weltlicher Irrsinn, der sich von Tod und Teufel, brennenden Jungfrauen, Königen und Tyrannen nährt. Anno 1431, vermutlich im gleichen Jahr, wurde im ehemaligen Königreich Ungarn eine gruselige Figur der Geschichte geboren. Graf Vlad III. Draculea erblickte das Tageslicht. Ein bewusst formuliertes Oxymoron, das eine Verbindung zu dem uns wohlbekannten Dracula erahnen lässt. Die Ungerische Chronica von Antonius Bonfini, Hofhistoriker und Zeitzeuge, registriert: "Dracula ein großer Tyrann. 281b. Draculi Herr in der Walachey gibt König Laßla ein guten Rath. 245.b. ... Dracula von Johanne Corvino enthauptet. 249.b." und es folgt etwas lakonisch aber alphabetisch geordnet "Dürrer Sommer. 320b." Ein Vergleich zwischen Graf Vlad III. und dem Dracula von Bram Stoker kann in dieser zweiten und ersten vollständigen deutschen mit zahlreichen Holzschnitten versehenen Ausgabe angestellt werden. Schlägt man erschöpft von all den gräulichen und gewaltigen Beschreibungen das Buch zu, schimmert im Schweinsleder auf der Rückseite des Einbandes blind eingeprägt der Kopf von Holofernes, vor Judith liegend. Trotz allem hat Judith ein edles friedliches Antlitz und die Platten- und Rollenstempel mit all den Putti und dem Zierwerk trösten seit 1581 ungebrochen. Auch die Deutsche Nation konnte Zeitgenossen der Jungfrau und des Grafen Dracula von wahrhaftem Heldentum aufbieten. Albrecht Marggraf zu Brandenburg wurde aufgrund seines Mutes und seiner Heldenstärke auch der Deutsche Achilles genannt und war seit seiner Jugend an Waffen geübt. Wir lesen in Teutscher Nation warhafften Helden, dem Hauptwerk des Historikers Heinrich Pantaleon, eine Auflistung seiner von Erfolg gekrönten Schlachten und Turniere. Ein furchterregendes Porträt, das ihn in rüstiger Berufskleidung mit abschreckender Schulterklappe in Form von einer gotischen Fratze zeigt, illustriert den Eintrag, derer sich ungefähr 1700 in diesem Werk befinden. Klio, die Muse, hingegen wirkt nachdenklich und etwas besorgt - unter dem Arm und der Brust hält sie einen Folianten und sie schreitet voran ... voran in die Vergangenheit.


In unseren Notizen aus Frankfurt unterhalb der Angebotsliste kündigen wir freudig erregt den 175.Jahrestag des Zusammentretens der Nationalversammlung in der Paulskirche an und werben hiermit um Beachtung.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Paulskirchenfest folgt Paulskirchenschaufenster Anlässlich der Festivitäten zum 175.Jahrestag des Zusammentretens der Nationalversammlung in der Paulskirche wird ab dem 18.Mai 2023 in Frankfurt mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. Zuvor aber finden Stadtführungen zum Thema statt, die natürlich auch durch die an den Paulskirchenplatz angrenzende Braubachstraße fließen werden. Unser Schaufenster wird baldigst mit Büchern und Grafik von und über die revolutionären Bestrebungen und die folgenden Demokratieversuche bestückt. Ein arrangierter Ausschnitt unseres Angebotes ist bereits hier auf dem Foto zu sehen. Unten sehen wir einen zotteligen Revolutionär, der den Leser des Handbüchlein für Wühler erheitert. Peter Struwwel Demagog - ein Pseudonym, das den Autor Heinrich Hoffmann sogleich demaskiert - macht sich in dieser Satire über die parlamentarische Linke lustig und wird die Kontroverse vor unserem Schaufenster sicherlich anheizen.

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