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VORSATZPAPIERE VOR OSTERN


Die Welt der Vorsatzpapiere ist derartig vielfältig, dass wir in unserer Angebotsliste ein Sammelsurium zusammenstellen konnten, das vielerlei Techniken von Buntpapieren vorstellt. Rechts sehen wir eines von besonderer Anziehungskraft in Kamm-Marmor [aus: Voltaire, F.M.A. de. Elémens de la philosophie de Neuton. Amsterdam, J. Desbordes, 1738], ein Tunkpapier, das der Gattung des Türkisch Papier angehört und in Persien sowie der Türkei in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts in hoher Blüte stand. Künstlerisch hochwertige Papiere dieser Art sind im 17. und 18. Jahrhundert von französischen Buchbindern hergestellt worden. Um den Interessierten die ausgeklügelte Art der Herstellung vorzustellen, folgt hier ein gekürztes Rezept:


Man nehme eine Ochsengalle, möglichst frisch vom Schlachter, und schlitze sie auf. Der Inhalt möge in einem Gefäß mit reinem Alkohol vermischt werden und einen Monat reifen. Sodenn koche man Charragheenmoos und Borax in Wasser
und möge die Brühe filtern. Füge Farben hinzu, aber nimm möglichst keine Erdfarben, diese sind zu schwer und sinken ab. Gib zu den Farben etwas Ochsengalle und die Farbe wird sich ausbreiten. Mit einem Kamm lässt sich vorzüglich ein Muster formen und dann tunke das Papier, das mit Alaunlösung gebeizt ist, vorsichtig und möglichst flach in die Flüssigkeit mit den gekämmten Farben, welche an der Oberfläche des Papieres haften bleiben... für Blüten-Marmor nehme Nadeln, für Pfauen-Marmor empfiehlt sich eine Pipette zu verwenden, für Schneckenmarmor [links aus: Jonston, Joh. Historiae naturalis de Insectis Libri III, de Serpentibus et Draconibus Libri II. Amsterdam, Schipper, 1657] ein Stäbchen ...


Zur Rechten schimmert ein Ornament von Akanthusblättern aus Bronzefirnis, gedruckt auf mehrfarbigem Kleisterpapier. Dieses prächtige Buntpapier wurde für die sogenannte Kurfürstenbibel in Folioformat verwendet, gedruckt 1720, also justament in dem Zeitabschnitt, als der Bronzefirnisdruck in künstlerischer und technischer Blüte stand. Dieses Druckverfahren, so lesen wir es in einschlägiger Fachliteratur, ist mit vielerei Schwierigkeiten konfrontiert. Konsistenz der Bronzefarbe, Viskosität, Temperatur, Stärke des Aufdrucks müssen stimmen, um das Muster sauber wiederzugeben und um auch auf dem biegsamen Flattervorsatz haften zu bleiben. Erstmals ist das Bronzefirnispapier umfänglich ab ungefähr 1695 in Augsburg hergestellt worden.


Zudem haben wir noch ein geblümtes Vorsatzpapier [Morgenstern, Christian. Klein Irmchen. Berlin, Bruno Cassirer, 1921] ausgewählt, das unsere Sehnsucht nach Frühlingsbotanik verrät. Das Muster ist mit Hilfe der eher seltenen Pochoir-Technik (Schablonendruck) ausgeführt worden und verführt nicht nur durch die einfachen schnörkellosen Formen, sondern auch durch die Intensität der aufliegenden Farben, die eine sehr feine Oberflächentextur bilden. Leider ist diese auf unserer Abbildung nicht sichtbar. Dieses Exemplar, so empfehlen wir dringendst, sollte als Original in den Händen liegen, um dessen Reize zu empfangen. Weiterhin bieten wir Bücher mit Vorsatzpapieren in einfacher Kleistertechnik [Christlicher Seelen-Schatz Außerlesener Gebetter. (Bonn, Fabion, 1729)] oder Kleisterpapier in Herrnhuter Manier [Tägliche Andachts-Uebungen, zum Gebrauch Ihro Kaiserlichen Majestät der Königinn zu Hungarn und Böheim. Wien, Trattner, 1769], mit Kattunpapier [Bligh, William. Reise in das Südmeer ..., Wien, Schrämbl, 1793), Moiréepapier und andere Prägepapiere [Nadosy, Alexander von. Equitations-Studien. Wien, Gerold's Sohn, 1855], Steinmarmorpapier [Südöstlicher Bildersaal. Stuttgart, Hallberger, 1840-1841], zahlreiche illustrierte Vorsätze, ein signiertes Vorsatzpapier [Grieshaber, Hap. Herzauge. München, Parabel Verlag, 1969] sowie ein aufwendiges in Paris gebundenes Exemplar mit doppelten Vorsätzen an [Fance, Anatole. La Rôtisserie de la Reine Pédauque. Paris, Simon Kra, 1925]. Weitere von Hand gefertigte Buntpapiere stellen wir in unseren Notizen unterhalb der Angebotsliste vor – diese heute jedoch nicht aus Frankfurt, sondern aus Bamberg, wo eine Buntpapiermacherin lebt – eine der wenigen, die den Beruf noch ausübt.

NOTIZEN AUS BAMBERG

Buntpapierne Lebensfreude & Doppelter Wolkenschlag Die manuelle Herstellung von Buntpapier ist inzwischen eine Rarität geworden. In Bamberg, ebenso eine Stadt des Mains, arbeitet und lebt eine der wenigen Buntpapiermacherinnen Deutschlands. Ulrike Eleonore Grießmayr fertigt Buntpapier in unterschiedlichen Techniken wie Sprenkelpapier, gestrichenes Papier, Abklatschpapier und auch die für uns interessanten Kleisterpapiere nach historischen Vorbildern: gestrichenes Kleisterpapier, geädertes Kleisterpapier, Kleisterpapier nach Herrnhuter Art, Wolkenkleister u.a. Auf der Abbildung unten rechts sind vier Kleisterpapier aus eigenem Sortiment zu sehen. Das Foto oben stellt die Werkstatt mit sichtbaren Druckmodeln aus Holz und Rollen mit Mustern, Farbpigmente, eine Farbrolle und der Werkstatt-Apotheke im Hintergrund vor. Auffällig ist vor allem die Freude, mit der die Kunst- und Handwerkerin ihre Arbeit tätigt und auf uns - auch via Buntpapiere - überträgt. Weitere Informationen über die Herstellung mit historischen und Beispielen aus der eigenen Produktion sowie Kontaktdaten finden Sie hier: Buntpapiere von Ulrike Eleonore Grießmayr Der poetisch klingende Doppelte Wolkenschlag ist übrigens ein Muster, das mit dem Daumen in die Kleisterfarbe drehend gewischt wird und von den Herrnhuter Schwestern besonders wolkig ausgeführt, vermutlich sogar singend erfunden wurde.

AUS LUFTIGEN UND FERNEN HÖHEN AM FREITAG

 

Neben Astronomen, Astronauten, Flugkapitänen und Vögeln erweitern zahlreiche Himmels-, Stern- und Mondgucker in Literatur und Poesie das derzeitige Freitagsthema. Goethes Stella verführt uns bereits durch ihren Namen in erdferne Sphären. Die drei Hauptprotagonisten des Stückes verfolgten die rettende Idee einer Doppelehe, die aus ihrer Liebesmisere herausgeführt hätte. Diese jedoch rüttelte an gesellschaftlichen Moralvorstellungen und konnte sich nach einer Textänderung durch den Autor für Stella nicht erfüllen. Es ward ein Trauerspiel, in dem sie vergeblich ihrer Sehnsucht Ausdruck verleiht und verzweifelt deklariert, sie müsste dem Drang der Liebe nachgeben und aus diesem heraus den Mond herunterziehen. Die natürliche Tochter, ebenso von Goethe verfasst, blickt starr zum Himmel, blickt verwirrt umher und der trübe Sinn des Herzogs erzeugt nur Wolken. Wir ahnen, auch dies ist ein Trauerspiel, in dem sich Lügengespinste um eine uneheliche Tochter bilden. C.F.D. Schubart dichtete für seine Todesgedanken im Frühling 1767 erstaunlich luftig-leicht Seht nun auf ihre Blicke / Dahin, wo mein Glücke / Aus den Wolken lacht. / Dort auf jenem Sterne / wohin ich einst, und lerne ...


In Himmel und Erde des Romantikers Lord Byron begegnen wir dem verbotenen Flug der beiden Erzengel mit zwei Menschentöchtern in den Weltraum, um sie vor dem Strafgericht zu bewahren. Im geistlichen Morgenlied, das von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau 1717 dargeboten wurde, wird der Schöpfer direkt angesungen, um mit Geistes Schwingen die Wolken durchzubringen. So kann ich Adler sein. Euphorion hingegen möchte im zweiten Teil von Faust fliegen Gönnt mir den Flug!, stürzt aber in die Tiefe. Und in Shakespeares Sommernachtstraum gibt es besonders zahlreiche Flugbewegungen. So tanzen die Elfen Bohnenblüte, Spinnweb, Motte, Senfsamen sowie der Elfe Droll durch des Zauberwalds Lüfte, ein Aktör der Handwerkstruppe spielt den Mondschein, Fledermäuse werden gejagt und die Elfenkönigin Titania verliebt sich nach einem Zauber in Zettel, der justament ein Vogelliedchen trällert. Zu dieser gewitzten Wald-Luft-Komödie passen auch die 48 Tafeln mit lithographierten Papageien von Charles de Souancé. Jeder einzelne dieser kolorierten Vögel leuchtet und schillert, als wäre er von William Shakespeare erfunden worden. Selbst die mitteleuropäischen Fiedergenossen, links und rechts vom Text, posieren in besonders stolzer Vogelhaltung für unser luftiges Angebotssammelsurium.

In den Notizen aus Frankfurt, die sich dem Angebot thematisch anschließen, beschreiben wir unseren Frankfurter Ausflug, der bis in den Himmel führte.

 

NOTIZEN AUS FRANKFURT

In den Himmel und zurück Um heute am Freitag passend zu unserem Thema die Vogelperspektive einzunehmen, laufen wir kurzentschlossen und energiegeladen zum unweit gelegenen Kaiserdom St.Bartholomäus. Der Domturm sei erst seit Februar wieder geöffnet, informiert uns die Domturmkassiererin und inspiziert unsere Impfausweise. Wie hoch der Domturm sei, fragen wir. Bis zur Spitze 95 Meter und 328 Treppenstufen seien zu bewältigen, antwortet sie. Wir mustern unsere für eine Domturmbesteigung eigentlich ungeeigneten hochhackigen Schuhe und beginnen trotz der Widrigkeiten den Aufstieg. Auf der engen Turmtreppe begegnen wir zuerst zwei Asiaten, die uns Mut zusprechen, danach einer vielköpfigen amerikanischen Familie, an der wir uns in einem noch engeren Treppenabschnitt vorbeiquetschen. Zuletzt lernen wir - bereits etwas kurzatmig - einen der Restauratoren kennen, der gerade hungrig in Richtung Mittagstisch absteigt. Auf dem Rundgang der Ausblicksplattform pressen wir uns mit dem Rücken an die Turmwand, an der eingeritzte Namen und Jahreszahlen zu lesen sind. Das Datum 3.5.1945, also kurz vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, betrachten wir heute sicherlich nachdrücklicher, als wir es vor über drei Wochen getan hätten. Hoffnungsfroh verweilen wir noch einen Moment mit Blick in die Ferne und machen ein Foto mit leicht zittrigen Knien, auf dem Ortskundige östlich von der Paulskirche auch das Dach des Gebäudes erkennen, in dem sich der Tresor am Römer befindet. Der Kupferstich nach Salomon Kleiner von 1747 zeigt die Domlaterne in einem eigentlich unvollendetem Zustand. Doch nach dem Dombrand 1867 - ausgelöst durch eine Kerze und zwei angeheiterte Bewohnerinnen des 3.Stockwerks in der Fahrgasse 21- wurde sie endlich nach den mittelalterlichen Plänen von Madern Gerthener errichtet und präsentiert sich auch heute noch in dieser Form. Abschließend möchten wir noch berichten, dass der Aufstieg zum Himmel nicht so anstrengend ist wie der Abstieg. Frauen wissen warum, denn die sind dem Himmel sowieso näher - auch wegen der hohen Schuhabsätze.

MESSEVERGNÜGEN AM FREITAG

 

Die unnachahmliche Atmosphäre der Antiquariatsmesse wird uns auch dieses Jahr fehlen. Kein Papierrascheln, keine Gespräche, kein Spurt bei Messeeröffnung zum begehrten Sammelobjekt, kein Blickkontakt mit dem Antiquar, kein Händedruck zum Abschluss eines Geschäfts, kein lauwarmes Würstchen im Messebistro, kein gemeinsames Anstoßen, keine Berührungen zwischen Menschen und Büchern, kein Klatsch, keine Neuigkeiten, keine schmerzenden Messebeine, kein Lachen, kein stetes Gesprächsgemurmel in den Räumen des Kunstvereins. So bleibt uns heute das Vergnügen das Messegefühl zu simulieren, indem wir mit Worten rascheln und mit Abbildungen das Gemüt berühren. Vielleicht verweilt unser Blick derzeitig umso bedürftiger auf den warmtonigen Photographien, die uns die Amalfiküste und den qualmenden Vesuv hinter einer Pinie besonders stimmungsvoll darbieten. Oder wir fixieren noch intensiver die eigentlich unansehnlichen aber lebensverkündenden Larven und Raupen, die ihre Metamorphose schließlich als farbschillernde Schmetterlinge feiern. Möglicherweise verfängt sich unser suchender Blick zudem in dem bizarren Stillleben menschlicher Organe und Blutgefäße, flankiert von possierlichen Skeletten, die die Opera Omnia des niederländischen Anatoms und Botanikers Frederik Ruysch illustrieren.

Auch wäre ein Zwiegespräch mit den beiden Fledermäusen möglich, die original gouachiert als geschützte Tiere durch das Messeangebot flattern, und übermütig könnte man das freche Grinsen der beiden erwidern – es sieht uns ja doch niemand hinter unserem Computer. Sehnsüchtig wird sicherlich ebenso das ägyptische Kamel im Oriental Album bestaunt werden, das uns an ferne Reisen erinnert.


Wie wir uns heute Morgen einen Zipfel Messegefühl erhascht haben, beschreiben wir in den Notizen aus Frankfurt, die nach dem Messeangebot folgen. Es kann sogar sein, dass der eine oder andere Leser Appetit bekommt.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Messewürstchenersatz & Elton-John-Sammlung Vor Messebeginn haben wir uns in die Warteschlange vor dem Stand der Frau Schreiber in der Kleinmarkthalle - unweit der Braubachstraße - eingereiht, ein Rindswürstchen erstanden und schließlich verzehrt. Mit Hilfe des Würstchengeschmacks und des Würstchengeruchs im Treiben der Marktbesucher hat uns die Antiquariatsmesse atmosphärisch gestreift. Während wir kauten und unsere Mäntel mit Senf bekleckerten, konnten wir uns zudem über ein Gedicht von Friedrich Stoltze amüsieren, das am Würstchenstand in einem Rahmen auszugsweise präsentiert wird. Un de Ratsherrn un die Richter, / Un die Maler und die Dichter, / Komponiste, Schornaliste, / Apedheker un Drogiste, / Un Student un Komedjant / Frißt sei Wörschtsche aus der Hand. Und tatsächlich haben wir in der Warteschlange Menschen aller Arten und Schichten entdeckt. Frau Schreiber, eine regionale Berühmtheit von über 80 Jahren, wird auch liebevoll Wurst-Ilse von den Frankfurtern genannt. Sie bietet Fleischwurst mit und ohne Knoblauch an, Rindswurst, Gelbwurst und Krakauer. Kundenwünsche erfragt sie im Frankfurter Dialekt, Japaner - die in diesen Zeiten jedoch eher selten anreisen - spricht sie auf Englisch an. Mit gut gefüllten Mägen und Frankfurter Singsang im Ohr sind wir wieder in den Tresor am Römer gelaufen, um nun angeregt auf das letzte Gespräch der Veranstaltungsreihe Das rote Sofa hinzuweisen. Am 21.Februar 2022 um 19 Uhr wird Sibylle Wieduwilt die Verleihung des Preises für junge Sammler moderieren. Preisträgerin ist eine Studentin, die ihre Elton-John-Sammlung (in Selbstdarstellung und Rezeption aus den Jahren 1970-72) mit gut überlegter Beharrlichkeit und Begeisterung zusammengetragen hat. Noch drei weitere Gäste werden im darauffolgenden Gespräch über das Thema Sammeln online diskutieren. Sollten Sie sich für das Thema interessieren, können Sie sich kostenlos als Zuschauer unter folgendem Link registrieren:<link https: us02web.zoom.us webinar register wn_gnceenmysaujuowkcf8rbg eine externe webseite in einem neuen> Preisverleihung. Um 12 Uhr heute Mittag wird endlich die Antiquariatsmesse Stuttgart eröffnet, die man unter diesem Link besuchen kann: <link https: www.antiquariatsmesse-stuttgart.de antiquaredigital default.php eine externe webseite in einem neuen>Antiquariatsmesse Stuttgart. De Vorhang uff! Bravo! Bravo! Bravo!

EXPRESSIONISTEN UND ZEITGENOSSEN

 

Anlässlich des expressionistischen Freitags möchten wir die Möglichkeit nutzen, einzelne Dichter zu Wort kommen zu lassen, damit wir ihre Lyrik besser verstehen. Natürlich handelt es sich um ein fiktives Gespräch, das im Bereich der Literatur erlaubt sein möge. Die Antworten sind ordentlich wiedergegebene Gedichtzitate aus den hier angebotenen Büchern.

Fragende Stimme:
Die Sonne taucht in der expressionistischen Lyrik immer wieder auf. In Umbra Vitae, den nachgelassenen Gedichten Georg Heyms, tost sie bereits 1912 ekstatisch. Alfred Lichtenstein hielt die rote Häusersonne nicht mehr aus. Anders bei Kurt Bock. Dessen erste Sonne ruft unruhvolles Leid tagtäglich im Wanderer wach. Bereits diese drei Beispiele zeigen ungewöhnliche Ausdrucksfähigkeiten. Noch drastischer, beinahe hoffnungslos und mitunter mit sezierendem Blick beschreibt der Arzt Gottfried Benn die Welt. Dessen Ikarus endet im Sturz der Sonnen-sonnen, o aller Sonnen ewiges Gefälle. Sie, Walter Rheiner, sind mit 19 Jahren gegen ihren Willen im Ersten Weltkrieg an die russische Front geordert worden. Sie wurden abhängig von Rauschgift und lebten in Berlin in Armut. 1918, dem Jahr zahlreicher Veröffentlichungen ihrer Gedichte, erscheint auch in der Reihe des Neuesten Gedicht ihre Insel der Seligen, in der die Sonne ...


Walter Rheiner (schaut durch seine Brille nach oben, etwas zittrig deklamierend):
Elektrisch lodert sie auf den Dächern, auf Haaren (magisch-wirr) der schwarzen Fee


Fragende Stimme (entzückt und empathisch):

Und auch das Geflüster naher Sterne vernahmen Sie. Ganz anders hat Herr Benn das Sternenfirmament gesehen …


Gottfried Benn (großer Kopf, Mundwinkel nach unten, beinahe misslaunisch aber bestimmt zornig ausrufend):
Finale! Huren! Grünspan der Gestirne!


Fragende Stimme (begeistert, wendet sich Else Lasker-Schüler zu, die bei den Worten Benns zusammengezuckt ist):
Else Lasker-Schüler, was meinen Sie?


Else Lasker-Schüler (mit einem glimmenden und einem verträumten Auge):
Sieh meine Farben,
Schwarz und stern.

Alfred Lichtenstein (ein junger Mann mit großen, fragenden Augen verneigt sich vor der Dichterin und trägt aus seinem Gedicht Mädchen vor):
Sie halten den Abend der Stuben nicht aus.
Sie schleichen in tiefe Sternstraßen hinaus.

Wie weich ist die Welt im Laternenwind!
Wie seltsam summend das Leben zerrinnt …


Und nochmals Else Lasker-Schüler (eine Träne im träumenden Auge):

Ich saß im Sternenmantel.


Fragende Stimme (bewegt und brüchig):

Herr Heym,
Sie möchten etwas sagen?


Georg Heym (erst 25 Jahre jung, mit einem Wollschal und einem Paar Schlittschuhe über der Schulter):
Sie wandern durch die Nacht der Städte hin,
Die schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.
Wie Schifferbärte stehen um ihr Kinn
Die Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.


Klabund (elegant, schlank,
jung, hoher gestärkter Hemdkragen):
Der zinnoberblaue Schutzmann zerschmettert den Maßkrug aller Maßlosigkeiten
An der Siegessäule die sauberen Ladenmädchen
Gelächter Zackenbauch
Wandeln die Litfaßsäulen
Im Sternenzelt.


Fragende Stimme
(schweigt vorerst nachsinnend und fährt schließlich fort):
Darf ich um ein Schlusswort bitten?


August Stramm (springt nach vorne und ruft):

Äste würgen


Fragende Stimme (nun nicht mehr fragend, sondern jubilierend):

Großartig, aus der
Menscheitsdämmerung!

Nun gilt es den expressionistischen Schwung zu nutzen, um auf die Angebotsliste hinzuweisen, der die Notizen aus der Antiquariatswelt folgen, in denen gleich zwei Sofas vorgestellt werden.

NOTIZEN AUS DER ANTIQUARIATSWELT

ersehnt & begehrt In jedem Sammler steckt auch ein Jäger. Sammler handeln zielgerichtet und schnell, listig und in Härtefällen mitunter rücksichtslos, ihre Kondition ist stets trainiert, ihr Witterungsvermögen bestens ausgebildet, Informationen aus ihrem Revier - und erscheinen sie noch so unwichtig - werden von den Sammlern geradezu aufgesogen, das Sammlergedächtnis funktioniert fehlerfrei, Sammler scheuen keinerlei Mühen, um ihr nächstes Sammelobjekt zu ergattern und wenn sie reüssieren, durchfährt ein Empfinden wilder Freude ihren Körper. Mehr zu dieser schillernden Menschengattung werden wir im Rahmenprogramm der Antiquariatsmesse Stuttgart erfahren. Die Veranstaltungsreihe "Das rote Sofa" wird die Messe zu dem Thema "Sammeln - Eine Leidenschaft" mit drei Gesprächen begleiten. Detaillierte Informationen erhalten Sie bei Betätigung des Links: <link https: www.antiquariatsmesse-stuttgart.de de eine externe webseite in einem neuen>Das rote Sofa. Die Antiquariatsmesse wird vom 18.-22.2. wieder virtuell stattfinden. Zudem erscheint ein Katalog, der sowohl in gedruckter Form erscheinen als auch ab Ende Januar als Online-Version unter folgendem Link abrufbar sein wird: <link https: stuttgarter-antiquariatsmesse.de antiquaredigital default.asp eine externe webseite in einem neuen>Antiquariatsmesse Stuttgart. Sodenn möchten wir bescheiden auf ein Gespräch mit dem Titel <link file:192>Freitagsseite, Verband, Nachwuchs im Antiquariat hinweisen, das Björn Biester, der Herausgeber der Zeitschrift Aus dem Antiquariat, mit Sibylle Wieduwilt geführt hat. Das unten abgebildete Antiquariatssofa des Tresor am Römer verleitete die Inhaberin zu resümierenden Nachrichten des letzten Jahres aus der kleinen und großen Antiquariatswelt.

FREITAGSALLERLEI

 

Die Angebotsliste vor den weihnachtlichen Festtagen ist wie im letzten Jahr streng thematisch gemischt. Zunächst möchten wir - mit der Überlegung das Traditionsessen von Würstchen mit Kartoffelsalat zu erweitern - den Weihnachtsspeisezettel aus dem Kochbüchlein für die Puppenküche empfehlen. Der Weihnachtsabend wird hier mit Schokoladensuppe, Eierkuchen und Äpfeln, Auflauf mit eingemachtem Obst oder Zucker und Zimt als auch mit Gemüse von Rosinen kulinarisch gefeiert. Danach werden gebackene Äpfelschnitze, geröstete Mandeln, Zitronenbrötchen und Kleienküchlein gereicht. Die Rezepte sind kinderleicht auszuführen und wir können sie mit gutem Gewissen auch Kochlaien empfehlen.


Der Puppenküchenpunsch hat den Vorteil, dass er den ganzen Tag getrunken werden kann, besteht er doch aus einem Mätzchen schwachen Tees, Zucker und Zitronensaft. Am ersten Weihnachtstag werden u.a. goldene Schnitten mit Högenmark oder Weinsoße aufgetragen - gefolgt von Kirchweihküchlein. Wer es etwas deftiger mag, kann sich auf den dritten Weihnachtsfeiertag freuen, an dem gebackene Fleischklöße mit dem
vielgeliebten Kartoffelsalat aufgetischt werden. Weihnachtsbraten gibt es in der Puppenküche noch nicht, jedoch könnte das Hirschhörnchen eine vegetarische Alternative mit viel Zucker sein.

Gänzlich ohne Zucker, mit einfachen Formen und flächigen Farben, rhythmisch und balancierend, mit überlagerten Linien in Kaltnadelradierschwarz entfaltet Sonia Delaunay ihre künstlerischen Kräfte neben Versen von Tristan Tzara. Diese eindrucksvolle Künstlermappe mit acht ganzseitigen Farbradierungen zu elf Gedichten ist im Jahr 1961 in Paris entstanden. Tristan Tzara, der zusammen mit Hans Arp und Hugo Ball die Dada-Bewegung gegründet hat und später zu den Pariser Surrealisten Kontakt aufnahm, hat mit der vielseitigen Wahlfranzösin Sonia Delaunay bereits seit den frühen 20er Jahren eigensinnige Kunstwerke wie die Robes Poèmes, Gedichtkleider, geschaffen. Hierbei wurden Wörter und Verse des Dichters in Kleider eingewebt und wanderten somit über den Körper entlang. Die Radierungen für die vorliegende Mappe Juste présent zeugen von eindrucksvoller Form- und Farbsicherheit der Künstlerin, die ihr Leben lang mit Simultankontrasten experimentiert hat. Dissonanz und Harmonie werden auch hier spielerisch entfacht, besonders überzeugend im Original, nummeriert als auch signiert und heute in außergewöhnlicher Schönheit im Tresor am Römer präsentiert. In den Notizen aus Frankfurt am Ende der Angebotsliste stimmen wir heute passend zum vierten Advent ein fröhliches F an.

NOTIZEN AUS FRANKFURT

Frohlockende Flora im Festtagsfenster Während die Floristin Frau Escanecrabe uns die zum Verkauf stehenden Blumen vorstellt, bindet sie gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin unermüdlich kleine Weihnachtssträuße. 850 Stück müssen heute am Freitag frisch gebunden geliefert werden. Bei Blumen am Dom, ein Familienbetrieb mit inzwischen zwei Filialen hier in der Braubachstraße, kaufen auch wir regelmäßig Antiquariatspflanzen, die zur Weihnachtszeit im Schaufenster um die Gunst der Vorbeischlendernden buhlen. Der Weihnachtsstern oder die Euphorbia pulcherrima, deren Name ihre Schönheit bestätigt, kann ihrerseits das Straßengeschehen wahrnehmen, das derzeitig auch von dem unweit stattfindenden Weihnachtsmarkt bestimmt wird. So fühlt sie sich betrachtet von Punschtrinkenden, Wurstessenden, Geschenksuchenden, Bummelnden, Verträumten, Lächelnden, Anwohnern, Blumenliebhabern, Museumsbesuchern, Auf-die-Tram-Wartenden, von dem italienischen Briefträger, von Frau Escanecrabe, Frau Wieduwilt und Frau Seuss, dem Rahmenmacher, Buchliebhabern, Buchkäufern und dem langbeinigen Donatus vom Rühlskopf, dem Deutsch Drahthaar von gegenüber. Für unsere auswärtigen Kunden haben wir ein Foto von einem der beiden Weihnachtsfenster mit zwei unserer Antiquariatsweihnachtssterne aufgenommen - farblich und inhaltlich abgestimmt mit dem Rot der Weihnachtsapfelketten und dem hellblau kolorierten Himmel des Kupferstiches vom heiteren Wintertreiben auf dem Frankfurter Liebfrauenberg.

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